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„So schmolzen schmerzlich unsere Seelen“

Sprecherin Andrea Funk und Gong-Spieler Uli Lessin begeisterten mit einer Symbiose aus Worten und Klängen.

 

Lich (dab). Wenn der Gong ertönt, wird Andrea Funk zum Medium. Sie schließt die Augen und lässt die Worte von Männern und Frauen, Glücklichen und Verzweifelten, Lebenden und Toten aus ihrem Munde fließen. Sie erzählt von deren Liebesfreud und Liebesleid, untermalt von wohlig sonoren Klängen, die Uli Lessin auf seinen Gongs erzeugt. Im Rahmen der Licher Kulturtage gastierte das Duo am Mittwoch im Kino Traumstern, um die Zuhörer mit seinem Programm „Samtrot - Wort und Klang“, einer Mischung aus Musik und Gedichten, in das Reich der Liebe zu entführen.

Eine ungewöhnliche Symbiose stand im Mittelpunkt der einstündigen Verwöhnkur für die Seele, die von den Zuhörern sichtlich genossen wurde. Das einfache, gesprochene Wort trat in einen fruchtbaren Dialog mit einem musikalischen Gegenpart im Hintergrund, der die textliche Botschaft sanft und sensibel zu unterstreichen wusste. Sinnliche Passagen aus dem Hohelied Salomons, einem der ältesten Liebesgedichte der Menschheit, strukturierten das abwechslungsreiche Programm unter der Leitung von Beate Lanz. Poesie aus unterschiedlichen Epochen, Kulturen und Lebenserfahrungen wurde intelligent zusammengefügt. Die Künstlerin im roten Samtkleid bezirzte das Publikum mit ihren rezitativen Fähigkeiten, als säße der Liebste leibhaftig vor ihr. Ob anbetende Romantik, knisternde Erotik oder abgrundtiefe Leidenschaft - stets verhalf Funk der innewohnenden Kraft und Stimmung des jeweiligen Textes zum wahren Ausdruck und verfeinerte ihn mit der Sinnlichkeit ihrer eigenen Stimme, mit extrovertierter Mimik und lebhafter Körpersprache.

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Einfühlungsvermögen bewiesen die Protagonisten vor allem bei melodramatischen Versen voller Qual, Sehnsucht und Trauer. Denn nicht nur samtrot kann die Liebe sein. Pechschwarze Verzweiflung klingt aus dem Werk eines unbekannten Verfassers: „Du flohst, ich suchte lang in Finsternis. (... ) Denn unsere Liebe hat zu heiß geflammt, die wir entrissen alten Göttermächten, von Sterblichen verdammt. (... ) Sie loderte wie Fackeln überm Grab (... ) So schmolzen schmerzlich unsere Seelen auch. (... ) Empfang uns endlich ganz, Abgrund der Nacht, in Deinen Liebesflammen.“

Heinrich Heine beschrieb dieses dunkle Rätsel der kontrastreichen Liebe in „Dort vor dem Tor lag eine Sphinx“, die den Liebenden gleichsam mit Todesqual und Seligkeit erfüllt – „entzückende Marter und wonniges Weh“. Und Hugo von Hofmannsthal wählte für „Das Mädchen und der Tod“ ein endgültiges Entrinnen aus der Herzenspein „Dies flüssig grüne Gold heißt Gift und tötet.“ Die Darbietung des Bibelverses „Am Anfang war das Wort“ (Johannes 1, 1-5) mit Lessins furiosem Spiel auf dem großen chinesischen Gong war ein würdiges Finale für „Samtrot“: Der leise Ton schwoll langsam an, steigerte sich zu einem heftigen Wirbel und entließ die begeisterten Zuhörer schließlich mit einem ohrenbetäubenden Inferno viel zu schnell wieder in den Alltag.

Giessener Allgemeine, 14. März 2003

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